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Fachverlag und Nachrichtenagentur

Einfluss des Einsatzes von Anticholinergika bei überaktiver Blase auf kognitive Veränderungen bei Erwachsenen

 

LOWER URINARY TRACT London – Die überaktive Blase (OAB) ist eine häufige Störung der Blasenfunktion, deren Prävalenz mit dem Alter zunimmt. Die Initialtherapie umfasst Verhaltensmassnahmen sowie medikamentöse Therapien, wobei hier häufig Anticholinergika zum Einsatz kommen. Verschiedene Studien legen den Hinweis nahe, dass der Einsatz von Anticholinergika, insbesondere jene der ersten Generation, kognitive Beeinträchtigungen hervorrufen sowie das Risiko einer Demenz erhöhen können. Im Gegensatz dazu sind Studien, welche den Einsatz von Anticholinergika bei vorbestehenden kognitiven Beeinträchtigungen untersuchen, rar. Die nachfolgend vorgestellte Studie, die im Oktober 2022 im Fachjournal EUROPEAN UROLOGY OPEN SCIENCE publiziert wurde, wollte dieser Frage auf den Grund gehen. Die Autoren Blayne Welk und J. Andrew McClure vom Department of Surgery and Epidemiology and Biostatistics der Western University und dem London Health Sciences Centre, beide in London in der Provinz Ontario, Kanada, untersuchten zudem, ob zwischen der Trägerschaft des Apolipoprotein (APOE) ε4-Gens, einem bekannten Risikofaktor für Morbus Alzheimer, und durch Anticholinergika bedingten kognitiven Beeinträchtigungen ein Zusammenhang besteht. Dazu führten die Autoren eine retrospektive Kohortenanalyse mit Daten aus den Jahren 2005 bis 2019 aus dem National Alzheimer Coordination Center (USA) durch. Ausgeschlossen wurden unter anderem Patienten, die bereits vor Aufnahme in das Register mit Anticholinergika therapiert wurden oder bei denen der APOE ε4-Genstatus nicht erhoben wurde. Dann erfolgte ein 1:1 Matching zwischen Patienten mit neu begonnener Anticholinergikatherapie und Patienten ohne eine solche Therapie. Als Korrelat für eine kognitive Beeinträchtigung wurde eine Veränderung von ≥ 1 Punkt im Clinical Dementia Rating (CDR) oder ein Abfall von ≥ 3 Punkten in der Mini-Mental State Examination (MMSE) gewertet. Für die Datenanalyse konnten 782 Matches gebildet werden. In der Anticholinergika-Gruppe wurden 38% der Patienten mit Oxybutinin therapiert, 23% mit Tolterodin, 21% mit Solifenacin, 10% mit Trospium, 6% mit Darifenacin und 3% mit Fesoterodin. Das mittlere Zeitintervall zwischen der ersten Visite sowie der Kontrolluntersuchung betrug 445 Tage. Der Anteil der Patienten mit einer signifikanten Veränderung in CDR oder MMSE war in beiden Gruppen gleich (CDR 8,1% vs. 10,1%; MMSE 20,7% vs. 21,9%). In einer Regressionsanalyse konnte die Anwendung von Anticholinergika nicht als signifikanter Risikofaktor für die Entwicklung einer kognitiven Beeinträchtigung identifiziert werden (CDR-Zunahme ≥ 1 Punkt: Odds Ratio [OR] 1,38; 95% Konfidenzintervall [KI] 0,93 bis 2,05; p = 0,11; MMSE-Abnahme ≥ 3 Punkte: OR 1,06; 95% KI 0,79 bis 1,43; p = 0,70). Ebenso zeigte sich keine signifikante Assoziation zwischen (APOE) ε4-Trägerstatus und dem Auftreten einer klinisch relevanten kognitiven Beeinträchtigung. Allerdings zeigte sich ein erhöhtes Risiko (ohne statistische Signifikanz) für eine klinisch relevante Veränderung des CDR für Patienten, die mit Oxybutinin oder Tolterodin therapiert wurden (OR 1,65; 95% KI 0,98 bis 2,77; p = 0,06). Für andere Anticholinergika konnte dieser Effekt nicht gezeigt werden (OR 1,05; 95% KI 0,56 bis 1,97; p = 0,87). (fa)

Autoren: Welk B, McClure JA. Korrespondenz: Blayne Welk, Department of Surgery and Epidemiology and Biostatistics, Western University, St Joseph’s Health Care, 268 Grosvenor Street, London, Ontario N6A 4V2, Canada. E-Mail: matthewmason@med.miami.edu Studie: The Impact of Anticholinergic Use for Overactive Bladder on Cognitive Changes in Adults with Normal Cognition, Mild Cognitive Impairment, or Dementia. Quelle: Eur Urol Open Sci. 2022 Oct 25;46:22-29. doi: 10.1016/j.euros.2022.10.008. PMID: 36506252; PMCID: PMC9732452. Web: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666168322021309

KOMMENTAR Zusammenfassend konnte kein erhöhtes Risiko einer kognitiven Beeinträchtigung durch die Therapie mit Anticholinergika aufgezeigt werden, wobei die Ergebnisse dieser Studie im Widerspruch zu früheren Studien stehen, die insbesondere für Anticholinergika der ersten Generation einen entsprechenden Effekt aufzeigen konnten. Allerdings scheint es zwischen den verschiedenen Anticholinergika Unterschiede zu geben, auch wenn diese in dieser Untersuchung nicht statistisch signifikant waren, so dass nach Möglichkeit auf Anticholinergika der ersten Generation eher verzichtet werden sollte.

Autor: Dr. med. Fabian Aschwanden, Assistenzarzt Luzerner Kantonsspital