Neuere Entwicklungen bei der hormonalen und nicht-hormonalen medikamentösen Kontrazeption für den Mann
ANDROLOGY Krefeld – In der nachfolgend vorgestellten Mini-Review geht Christian Leiber-Caspers aus der Klinik für Urologie, Kinderurologie & Urogynäkologie der Alexianer Krefeld GmbH, Deutschland, der Frage nach, warum es bisher noch keine «Anti-Baby-Pille» für den Mann gibt. Die hormonelle Verhütung mittels «Anti-Baby-Pille» ist die führende Verhütungsmethode seit beinahe 60 Jahren. Trotzdem gehen Studien davon aus, dass bis 40% der Schwangerschaften weltweit ungeplant sind und davon ungefähr jede fünfte in einem Schwangerschaftsabbruch endet. Die weltweite Überpopulation, Schätzungen gehen von 9,6 bis 12,3 Milliarden Menschen bis ins Jahr 2100 aus, ist zumindest teilweise auf ungewollte Schwangerschaften zurückzuführen. Daher besteht ein grosses Bedürfnis des Zuganges zu einer sicheren, verlässlichen und einfachen pharmakologischen Kontrazeption für Männer. Gemäss einer aktuellen Studie wären 50% der Männer bereit, eine medikamentöse Kontrazeption einzunehmen. Im Gegensatz zu Frauen, deren Ovulation ungefähr monatlich auftritt, dauert die Spermatogenese 64 bis 72 Tage. In einem Erwachsenen werden ungefähr 1.000 Spermien pro Sekunde produziert. Pro Ejakulation werden ungefähr 39 Millionen Spermien ausgeschieden. Im weiblichen Genitaltrakt befindliche Spermien bleiben über einen Zeitraum von circa fünf Tagen fertil. Eine Grundvoraussetzung der Spermatogenese durch die Sertoli-Zellen ist die Präsenz der Hormone Testosteron und FSH. Es wird davon ausgegangen, dass eine Reduktion der Spermienanzahl pro Ejakulation auf unter 1.000.000 Spermien das Risiko einer Schwangerschaft auf 2% reduzieren würde, was ungefähr dem Wert der weiblichen peroralen Antikonzeption entspricht. Nebst barrierebildender Verfahren (Kondom) gibt es zwei grundlegende Möglichkeiten der männlichen Kontrazeption, die totale Suppression der Spermatogenese oder das Abtöten der Spermien bzw. die Inhibition relevanter Spermienfunktionen (Motilität) vor Ejakulation oder im Genitaltrakt. Durch die Zuführung externen Testosterons kann durch eine Reduktion der Hormone LH und FSH die Spermatogenese effizient unterdrückt werden. Orales Testosteron hat eine kurze Halbwertszeit, was eine täglich mehrmalige Einnahme erfordern würde. Versuche mit intramuskulärem Testosteron haben paradoxerweise von der Ethnie abhängige, unterschiedliche Ergebnisse erbracht (Azoospermierate bei Asiaten 90 bis 100%, bei Kaukasiern 70 bis 85%). Nebst der relativ hohen Drop-out Rate von 11%, bedingt durch die wöchentlichen Injektionen, zeigte sich ein ungünstiges, arteriosklerose-förderndes Nebenwirkungsprofil. Vielversprechende Resultate erbrachte eine 2021 veröffentlichte klinische Phase-I-Studie, welche modifiziertes Testosteron mit Progesteron kombinierte. Aus dem Gebiet der nicht hormonellen, peroralen Kontrazeption konnte nach täglicher Verabreichung von Triptolid über mehrere Wochen, einem pflanzlichen Wirkstoff, bei Mäusen und Affen eine nahezu vollständige Spermienimmotilität festgestellt werden. Eine normale Motilität stellte sich vier bis sechs Wochen nach Beendigung der Therapie wieder ein. Wie der Autor im Januar 2023 in der Fachzeitschrift EUROPEAN UROLOGY FOCUS beschreibt, wurden des Weiteren verschiedene Kinasen und Proteine in den Pathways der Spermiendifferenzierung (TSSKs, RAR-α) und -funktion als mögliche Ziele für pharmakologische Therapien identifiziert. Die Blockade von RAR-α in Knock-out-Mäusen erbrachte vielversprechende Ergebnisse. Erste Studien am Menschen mit RAR-α sollen zeitnahe beginnen. (fa)
Autoren: Leiber-Caspers C. Korrespondenz: Christian Leiber-Caspers, Klinik für Urologie, Kinderurologie & Urogynäkologie, Alexianer Krefeld GmbH, Diessemer Bruch 81, 47805 Krefeld, Germany. E-Mail: c.leiber-caspers@alexianer.de Studie: Why Is There Still No „Pill for Men“? Current Developments in Hormonal and Nonhormonal Medical Contraception for Men. Quelle: Eur Urol Focus. 2023 Jan;9(1):25-27. doi: 10.1016/j.euf.2022.11.012. Epub 2022 Nov 25. PMID: 36443200. Web: https://www.eu-focus.europeanurology.com/article/S2405-4569(22)00262-0/fulltext
KOMMENTAR Da Männer naturgemäss nicht den gesundheitlichen Risiken einer Schwangerschaft und Geburt ausgesetzt sind, ist anzunehmen, dass die Zulassung eines entsprechenden Medikamentes nur unter der Voraussetzung eines sehr günstigen Nebenwirkungsprofiles erfolgen wird. So ist davon auszugehen, dass der Weg zu einer männlichen «Anti-Baby-Pille» noch lange und fordernd sein könnte, so dass Männer vorerst auf die etablierten Verhütungsmethoden angewiesen sind, um ihrem Teil der Verantwortung zur Verhinderung einer Schwangerschaft gerecht zu werden.
Autor: Dr. med. Fabian Aschwanden, Assistenzarzt Luzerner Kantonsspital