COCHRANE Review zu Therapien bei angeborener bilateraler Katarakt bei Kindern ≤ 2 Jahre zeigt sehr geringe Evidenzgrade
CATARACT / PEDIATRICS & STRABISM London – Angeborene Katarakte sind Linsentrübungen in einem oder beiden Augen von Babys oder Kindern, die bereits bei Geburt bestehen. Diese können zu einer so schweren Sehminderung führen, dass eine Operation erforderlich ist. Katarakte sind die am besten behandelbare Ursache für Sehverlust im Kindesalter und stellen ein besonderes Problem in Ländern mit niedrigem Einkommen dar, in denen eine frühzeitige Intervention oft nicht möglich ist. Im Vergleich zu Katarakten im Erwachsenenalter stellen pädiatrische Katarakte andere Herausforderungen dar. Dabei werden die Therapieerfolge insbesondere beeinflusst von intensiven Entzündungen, Amblyopie (das Sehen wird von Geburt an durch Katarakt behindert, was die normale Entwicklung des visuellen Systems verhindert), Trübung der hinteren Kapsel und Unsicherheit über den endgültigen Verlauf der Augenwachstums. Zwei Optionen, die derzeit für Kinder unter 2 Jahren mit bilateraler angeborener Katarakt in Betracht gezogen werden, sind erstens die Implantation einer Intraokularlinse (IOL) oder zweitens das Belassen einer primären Aphakie, was Kontaktlinsen oder eine Brille erforderlich macht. Weitere wichtige Überlegungen in Bezug auf eine Operation umfassen die Verhinderung einer Trübung in der Sehachse, die Entwicklung eines Glaukoms und die Art der Durchführung der Linsenentfernung. Ziel des Reviews von Ritvij Singh aus der Faculty of Medicine des Imperial College London, Vereinigtes Königreich, und weiterer Kollegen aus Irland und Großbritannien war die Bewertung der Effektivität einer Säuglingskataraktoperation oder Linsenentfernung im Vergleich zu keiner Operation bei bilateralen angeborenen Katarakten bei Kindern im Alter von 2 Jahren und darunter. Durchsucht wurden das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL, das das Cochrane Eyes and Vision Trials Register enthält, 2022, Ausgabe 1), Ovid-MEDLINE, Ovid Embase, das ISRCTN-Register, ClinicalTrials.gov und das WHO ICTRP. Die Suche wurde am 25. Januar 2022 durchgeführt. Eingeschlossen wurden alle randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die eine Kataraktoperation oder Linsenentfernung bei Kindern mit bilateraler angeborener Katarakt im Alter von 2 Jahren und jünger mit keiner Operation verglichen. Die vorliegende Aktualisierung eines 2001 veröffentlichten und 2006 aktualisierten Reviews schloß Kinder über 2 Jahre nicht mit ein, da sie eine größere Vielfalt an Ätiologien aufweisen und daher unterschiedlich therapiert werden und unterschiedliche Ergebnisse zeigen. Die Standardmethoden nach Cochrane wurden angewandt: Zwei Review-Autoren extrahierten unabhängig voneinander Daten. Das Bias-Potenzial der eingeschlossenen Studien wurde mittels RoB 1 und die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE bewertet. Insgesamt wurden drei RTCs identifiziert, die die Einschlusskriterien erfüllten, wobei jede Studie einen anderen Aspekt des chirurgischen Eingriffs bei dieser Erkrankung verglich. Die Studien umfassten insgesamt 79 Teilnehmer unter 2 Jahren, wurden in Indien durchgeführt und die Nachbeobachtung reichte von 1 bis 5 Jahren. Studienteilnehmer und Auswerter der Ergebnisse waren in diesen Studien nicht verblindet.
Eine Studie (60 Kinder) verglich die primäre IOL-Implantation mit primärer Aphakie. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass es nach 5 Jahren möglicherweise nur einen geringen oder keinen Unterschied in der Sehschärfe gibt, wenn Kinder mit Pseudophakie (mittlerer logMAR 0,50) und Aphakie (mittlerer logMAR 0,59) verglichen werden (mittlere Differenz (MD) -0,09 logMAR; 95% Konfidenzintervall [KI] -0,24 bis 0,06; 54 Teilnehmer), aber die Evidenz ist von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit. Die Evidenz ist ebenfalls sehr unsicher hinsichtlich des Effekts der IOL-Implantation im Vergleich zur Aphakie auf die Trübung der Sehachse (Risk Risiko [RR] 1,29; 95% KI 0,23 bis 7,13; 54 Teilnehmer). Die Studienleiter berichteten nicht über Fälle von Amblyopie. Es gab wenig Hinweise auf einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich des Auftretens eines Glaukoms innerhalb von fünf Jahren Nachbeobachtung (RR 0,86; 95% KI 0,24 bis 3,10; 54 Teilnehmer) bei ebenfalls sehr niedriger Evidenz. Fälle von Netzhautablösung und Reoperationsraten wurden nicht berichtet. Das Ausmaß von Nebenwirkungen nach IOL-Implantation ist aufgrund der spärlich verfügbaren Daten sehr ungewiss: Von den Kindern mit Pseudophakie benötigten 1/29 eine Trabekulektomie und 8/29 entwickelten hintere Synechien. Im Vergleich dazu waren in der aphakischen Gruppe keine Trabekulektomien erforderlich und 2/25 Kinder hatten hintere Synechien (54 Teilnehmer; sehr niedriger Evidenzgrad).
Die zweite Studie (14 Augen von 7 Kindern unter 2 Jahren) verglich die posteriore „optic capture“ Implantation einer IOL ohne Vitrektomie mit endokapsulären Implantationen mit anteriorer Vitrektomie („in-the-bag“). Die Autoren berichteten nicht über Sehschärfe, Amblyopie, Glaukom und Reoperationsrate. Sie hatten in keiner Gruppe Fälle von Trübungen in der Sehachse. Die Evidenz bezüglich des Effekts einer In-the-Bag-Implantation bei Kindern unter 1 Jahr ist sehr unsicher. Es ergab sich eine höhere Inzidenz von entzündlichen Folgeerscheinungen: 4 von 7 bei in-the-bag-Implantat-Augen und 1 von 7 bei Optic-Capture-Augen (p = 0,04; 7 Teilnehmer; sehr niedriger Evidenzgrad). Der Evidenzgrad wurde bei allen Endpunkte als niedrig oder sehr niedrig eingestuft, da die statistische Analyse ergab, dass in jeder Gruppe eine Stichprobengröße von 13 erforderlich gewesen wäre, um eine Aussagekraft von 80% zu erreichen, während den Untergruppen von Kindern unter einem Jahr nur jeweils 7 Augen in jeder Gruppe angehörten.
Die dritte Studie (24 Augen von 12 Kindern) verglich einen transkornealen mit einem Pars-Plana-Zugang unter Verwendung eines 25-Gauge-transkonjunktivalen nahtlosen Vitrektomiesystems. Die Evidenz bezüglich der Auswirkung des gewählten Zugangsweges auf die Inzidenz von Trübungen in der Sehachse ist sehr unsicher, da in beiden Gruppen nach 1 Jahr Nachbeobachtung kein Fall gemeldet wurde. Die Prüfärzte machten auch hier keine Angaben zu Sehschärfe, Amblyopie, Glaukom, Netzhautablösung und Reoperationsrate. Der Pars-Plana-Zugang hatte die nachteiligen Auswirkungen eines hinteren Kapselrisses bei 2 von 12 Augen, und 1 von 12 Augen musste genäht werden. Auf der anderen Seite benötigte 1 von 12 Augen, die transkorneal operiert wurden, eine Naht. Die Ergebnisse wurden aufgrund der kleinen Stichprobengröße und des Fehlens einer à priori Berechnung der Stichprobengröße mit sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit bewertet.
Schlussendlich kommen die Autoren in der im September 2022 in der COCHRANE DATABASE OF SYSTEMATIC REVIEWS erschienenen Arbeit zu dem Schluss, dass es bei bilateraler angeborener Katarakt keine Evidenz auf hohem Niveau gibt für einen Effektivitätsvorsprung einer der Operationstechniken gegenüber einer anderen oder dafür, ob die Operation selbst besser ist als die primäre Aphakie. Weitere RCTs seien erforderlich, um in der Praxis auf Bedenken einzugehen, hinsichtlich des Zeitpunkts der Operation, des Alters, in dem die Operation durchgeführt werden sollte, des Alters für die Implantation einer IOL und der Entwicklung von Komplikationen wie Reoperationen, Glaukom und Netzhautablösung. Eine Standardisierung der Methoden zur Messung der Sehfunktion zusammen mit einer objektiven Überwachung der Einhaltung der Verwendung von Aphakenbrillen/Kontaktlinsen würde die Qualität der Studiendaten erheblich verbessern und eine zuverlässigere Interpretation der Ergebnisse ermöglichen. (bs)
Autoren: Singh R, Barker L, Chen SI, Shah A, Long V, Dahlmann-Noor A. Korrespondenz: Lucy Barker, Moorfields Eye Hospital NHS Foundation Trust, London, UK. E-Mail: lucy.barker8@nhs.net Studie: Surgical interventions for bilateral congenital cataract in children aged two years and under. Quelle: Cochrane Database Syst Rev. 2022 Sep 15;9(9):CD003171. doi: 10.1002/14651858.CD003171.pub3. PMID: 36107778; PMCID: PMC9477380. Web: https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD003171.pub3/full