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Fachverlag und Nachrichtenagentur

Zur Differenzierung zwischen hypoaktiver Blase und Blasenauslassstörung

 

 

FUNCTIONAL UROLOGY Sheffield – Die Aussage «Die Blase ist ein unzuverlässiger Zeuge» von Warwick et. al. aus dem Jahr 1973 hat auch heute noch ihre Gültigkeit. Symptomkomplexe können sich häufig überlagern und sowohl vom Patienten als auch vom Arzt falsch interpretiert werden. Symptome des unteren Harntraktes (LUTS) sind weder krankheits- noch geschlechterspezifisch. Als Kliniker liegt es uns nahe, Diagnosen aufgrund der Symptomatik zu stellen. Doch inwiefern unterscheiden sich die hypoaktive Blase von der Blasenauslassstörung hinsichtlich der Symptomatik? Obwohl es sich bei der hypoaktiven Blase hauptsächlich um ein Problem der Entleerung handelt, geht sie ebenso mit Symptomen der Speicherphase einher, beispielsweise mit Urge und Pollakisurie aufgrund eines hohen Residualvolumens. In der Entleerungsphase können ein verzögerter Miktionsbeginn, ein schwacher Harnstrahl, Pressmiktion und das Gefühl einer unvollständigen Entleerung vorliegen. In gewissen Fällen, wobei die determinierenden Faktoren hierzu noch kaum bekannt sind, ist die Folge eine chronische Retention mit Überlaufinkontinenz. Ebenso ist unklar, warum gewisse Patienten eine chronische Niederdruckretention und andere eine Hochdruckretention, häufiger mit Beeinträchtigung des oberen Harntrakts, entwickeln. Christopher R. Chapple und Nadir I. Osman aus dem Department of Urology am The Royal Hallamshire Hospital in Sheffield, Vereinigtes Königreich, untersuchten in einer Studie mit 1.778 Patienten die vorliegende Symptomatik bei hypoaktiver Blase bzw. Blasenauslassobstruktion. Patienten mit einer hypoaktiven Blase berichteten signifikant häufiger über einen schwachen und/oder unterbrochenen Harnstrahl, verzögerten Miktionsbeginn, das Gefühl der inkompletten Blasenentleerung und fehlende bzw. verminderte Blasenwahrnehmung im Vergleich zu einem Normalkollektiv. Studien zeigen eine mit dem Alter zunehmende Prävalenz des hypokontraktilen Detrusors. Bis zu 48% der Männer über 70 Jahren mit nicht-neurogenem LUTS sind entsprechend davon betroffen. Als mögliche Ursache werden eine altersbedingte chronische Minderdurchblutung und Denervation der Blase mit einhergehendem Verlust der Kontraktionsfähigkeit diskutiert. Wie die Autoren in der März-Ausgabe 2022 des Fachjournals EUROPEAN UROLOGY FOCUS festhalten, ist eine klinische symptomatische Unterscheidung zwischen einer hypoaktiven Blase und einer Blasenauslassobstruktion nicht mit Sicherheit möglich und bedarf, eine klinische Konsequenz vorausgesetzt, einer urodynamischen Untersuchung. (fa)

Autoren: Chapple CR, Osman NI. Korrespondenz: Christopher R. Chapple, Department of Urology, Sheffield Teaching Hospitals NHS Foundation Trust, The Royal Hallamshire Hospital, Glossop Road, Sheffield S10 2JF, UK. E-Mail: c.r.chapple@shef.ac.uk Studie: Underactive Bladder Versus Bladder Outlet Obstruction: Don’t Get Tricked! Quelle: Eur Urol Focus. 2022 Mar;8(2):388-390. doi: 10.1016/j.euf.2022.03.015. Epub 2022 Mar 31. PMID: 35370120. Web: https://www.eu-focus.europeanurology.com/article/S2405-4569(22)00069-4/fulltext

KOMMENTAR Das Mini-Review befasst sich mit einem in der Praxis alltäglichen Problem. Studien zeigen, dass eine infravesikale Desobstruktion bei Männern mit einer hypokontraktilen Blase ohne vorbestehende Dauerkatheterversorgung kaum einen Benefit mit sich bringt. Daher stellt sich die Frage, ob, da eine klinische Differenzierung zwischen hypokontraktiler Blase und Blasenauslassobstruktion nicht möglich ist, vor jeder infravesikalen Obstruktion eine urodynamische Untersuchung erfolgen muss. Die EAU-Guidelines empfehlen eine urodynamische Untersuchung vor Intervention unter anderem bei Patienten, welche nicht mehr als 150 ml urinieren können, bei Restharn über 300 ml mit dominierender Symptomatik der Entleerungsphase sowie bei Patienten über 80 und unter 50 Jahren (Strength Rating: weak). Ob eine Intervention bei Nachweis einer hypokontraktilen Blase aufgrund mangelnder Therapiealternativen trotzdem durchgeführt werden soll, ist im Individualfall und mit dem Patienten zu entscheiden.

Autor: Dr. med. Fabian Aschwanden, Assistenzarzt Luzerner Kantonsspital