Retrospektive Analyse der Outcomes nach radikaler Zystektomie und TMT bei Blasenkarzinom
LOWER URINARY TRACT Toronto – mechentel news – Ein multidisziplinäres Management verbessert den komplexen Entscheidungsfindungsprozess bei der Behandlung von Krebserkrankungen, jedoch gibt es noch keinen Beleg für die Auswirkungen beim Blasenkarzinom (BC). Obwohl die radikale Zystektomie (RC) derzeit als Standardtherapie des muskelinvasiven Blasenkarzinoms (MIBC) gilt, hat sich die strahlentherapiebasierte, blasenerhaltender trimodale Therapie (TMT), welche die transurethrale Resektion des Blasentumors, Chemotherapie zur Strahlungssensibilisierung und externe Strahlentherapie kombiniert als eine zulässige Behandlungsoption herausgestellt. Da randomisierte Studien fehlen, führten Girish S. Kulkarni et al. aus dem Princess Margaret Cancer Center der University of Toronto, Kanada, eine mittels Propensity-Score gematchte Kohortenanalyse durch, die onkologische Outcomes von Patienten erhob, die mit RC oder TMT behandelt wurden. Dazu wurden die Daten von Patienten, die in einer multidisziplinären Blasenkarzinom-Klinik zwischen 2008 und 2013 behandelt worden waren, retrospektiv ausgewertet. Diejenigen, die eine TMT bei MIBC erhalten hatten, wurden identifiziert und mittels Propensity-Scores gematcht (hinsichtlich Geschlecht, ct- und cN-Stadium, Eastern Cooperative Oncology Group Status, Charlson comorbidity Score, Behandlungsdatum, Alter, Status eines Carcinoma in situ und Hydronephrose) mit Patienten, bei denen eine RC durchgeführt worden war. Das Gesamtüberleben und das krankheitsspezifische Überleben wurden mit proportionalen Hazard-Modellen nach Cox beziehungsweise einer konkurrierenden Risikoanalyse bewertet. Insgesamt wurden 112 Patienten mit MIBC nach dem Matching eingeschlossen (56, die mit TMT und 56, die RC mit behandelt wurden). Das durchschnittliche Alter betrug 68,0 Jahre und 29,5 % hatten eine Erkrankung des Stadiums cT3/cT4. Nach einem mittleren Follow-up von 4,51 Jahren gab es 20 Todesfälle (35,7 %) in der RC-Gruppe und 22 Todesfälle (39,3 %) in der TMT-Gruppe (13 als Folge des Blasenkarzinoms). Die 5-Jahres-Rate des krankheitsspezifischen Überlebens betrug 73,2 % und 76,6 % in der RC- beziehungsweise TMT-Gruppe (p = 0,49). Eine Salvage-Zystektomie wurde bei 6 (10,7 %) von 56 Patienten durchgeführt, die TMT erhalten hatten. Die Autoren fassen in der Juli-Ausgabe 2017 des Journal of Clinical Oncology zusammen, dass im Setting einer multidisziplinären Blasenkarzinom-Klinik die TMT vergleichbare Ergebnisse erbrachte wie bei gematchten Patienten, die sich einer RC unterzogen. In geeigneter Weise ausgewählten Patienten mit MIBC sollte daher die Möglichkeit angeboten werden, verschiedene Behandlungsoptionen zu erörtern, einschliesslich der organerhaltenden TMT. (bs)
Autoren: Kulkarni GS, Hermanns T, Wei Y, Bhindi B, Satkunasivam R, Athanasopoulos P, Bostrom PJ, Kuk C, Li K, Templeton AJ, Sridhar ss, van der Kwast TH, Chung P, Bristow RG, Milosevic M, Warde P, Fleshner NE, Jewett MAS, Bashir S, Zlotta AR. Korrespondenz: Alexandre R. Zlotta, MD, PhD, Department of Surgery, Division of Urology, Mount Sinai Hospital, 60 Murray St, 6th floor, Room 6004, Box 19, Toronto, Ontario M5T 3L9, Canada. E-Mail: alexandre.zlotta@sinaihealthsystem.ca Studie: Propensity Score Analysis of Radical Cystectomy Versus Bladder-Sparing Trimodal Therapy in the Setting of a Multidisciplinary Bladder Cancer Clinic. Quelle: J Clin Oncol. 2017 Jul 10;35(20):2299-2305. doi: 10.1200/JCO.2016.69.2327. Web: http://ascopubs.org/doi/abs/10.1200/JCO.2016.69.2327
Kommentar In Toronto existiert eine interdisziplinäre Sprechstunde, in der urologische Patienten gemeinsam gesehen werden (so wie z.B. auch am Kantonsspital St. Gallen). Die Daten der vorliegenden Studie stammen aus einer gemeinsamen Sprechstunde von Radioonkologen und Urologen. Der Endpunkt war das Überleben bei Patienten mit Urothelkarzinom der Harnblase nach trimodaler Therapie (das heisst transurethrale Resektion des Blasentumors, Chemotherapie und Bestrahlung) im Vergleich zur Zystektomie. Die Tumoren waren unter 5cm gross, solitär, ohne „mulitfokales CIS“ und allenfalls milder Hydronephrose (in 12 – 14 % der Fälle). Knapp 70 % hatten einen Tumor im klinischen Stadium T2 oder kleiner, 30 % hingegen cT3 oder höher. Die Take-Home-Message dieser retrospektiven Studie: nach Machting der Patienten soll die trimodale Therapie gleichwertig zur Zystektomie sein. Stimmt das so tatsächlich? Zunächst einmal handelt es sich bei diesen Patienten um ein hoch-selektioniertes Krankengut: Von 248 Patienten mit Urothelkarzinom der Harnblase wurde gerade einmal 56 für die trimodale Therapie ausgewählt (also nur ein Fünftel). Die Kreatinin-Clearance musste > 60 ml/min sein, was schon einmal für einen beträchlichen Anteil dieser Patienten nicht zutrifft. Zudem gab es zahlreiche Therapieänderungen und 11 % dieser Patienten haben nach trimodaler Therapie dennoch eine Salvage-Zystektomie gebraucht. Ausserdem erlitten 30 % ein Rezidiv in der Harnblase. Und eigentlich hätte die Studie noch eine dritte Gruppe vergleichen müssen: Nämlich die alleinige (und komplette) TUR-B neben der trimodalen Therapie sowie der Zystektomie. Leider fehlt diese Information, so dass das dumpfe Gefühl verbleibt, dass bei einem Grossteil jener Patienten die Radiochemotherapie (bzw. auch die Zystektomie) nach vollständiger transurethraler Resektion des Tumors womöglich nicht nötig gewesen wäre.