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Fachverlag und Nachrichtenagentur

SWISS OPHTHAL

Aktuelle Evidenz zur Verwendung von Einmalmaterial in der Glaukomdiagnostik

GLAUCOMA Brighton – Die Applanationstonometrie nach Goldmann ist ein wesentlicher Bestandteil aller Erst- und der meisten Folgeuntersuchungen am Auge. Sie ist die am häufigsten angewandte Methode zur Messung des Augeninnendrucks in der klinischen Praxis und in grossen multizentrischen randomisierten kontrollierten Studien, die Leitlinien für die Glaukomtherapie liefern, und sie ist ein wichtiger Bestandteil jeder augenärztlichen Untersuchung bei Patienten mit und ohne Glaukom. Die Gonio­skopie ist unerlässlich, um den Zustand des Vorderkammerwinkels bei allen neuen Glaukompatienten oder Patienten mit Verdacht auf Glaukom zu bestimmen, und wird bei Verdacht auf Veränderungen wiederholt durchgeführt. Wegen des theoretischen Risikos einer Krankheitsübertragung werden derzeit in verschiedenen Einrichtungen und Krankenhaussystemen Einweg- oder Einmal-Tonometriespitzen und Gonioprismen verwendet. In einem Editorial des Fachjournals OPHTHALMOLOGY GLAUCOMA, das im November 2024 elektronisch veröffentlicht wurde, erörtern Emily M. Schehlein vom Brighton Vision Center und Alan L. Robin, der in Baltimore und Ann Arbor, ebenfalls in den Vereinigte Staaten, tätig ist, die Verwendung von Einwegmaterialien in der Glaukomdiagnostik.

Die Coronavirus-Pandemie 2019 hat die Aufmerksamkeit erneut auf Einwegkunststoffe und andere Materialien und ihre Rolle bei Infektionen gelenkt. In nur einem Jahr, von ihrem Beginn bis Mitte 2021, hat die Pandemie über acht Millionen Tonnen Kunststoffabfälle erzeugt. Die Umstellung auf Einweg- und Wegwerfartikel hat offensichtlich nicht nur die Abfallproduktion in der Augenheilkunde, sondern auch die Kosten erheblich erhöht. Eine Studie an einer einzelnen Einrichtung ergab, dass die Umstellung auf Einweg-Tono­metrie- und Gonioskopiematerialien zusätzliche Kosten in Höhe von einer Million Dollar verursachte.

Augenärzte sehen täglich Patienten mit den häufigsten Virusinfektionen, einschliesslich, aber nicht beschränkt auf Adenoviren, Herpes-simplex-Viren 1 und 2, Coronavirus 2019, Humanes Immundefizienz-Virus, Hepatitis-C-Virus und Enterovirus 80. Kontaminierte Tonometer wurden bei nosokomialen Infektionen beobachtet, die hauptsächlich durch Adenoviren und Herpes-simplex-Viren 1 und 2 verursacht wurden und auf unzureichend desinfizierte Tonometerspitzen zurückzuführen waren. Insbesondere Ausbrüche von epidemischer Keratokonjunktivitis wurden mit Tonometerspitzen in Verbindung gebracht, die nur mit Tücher desinfiziert wurden, die 70-prozentigen Isopropylalkohol enthielten. Tonometerspitzen kommen mit der Hornhaut in Kontakt, während Gonioskopielinsen sowohl mit der Hornhaut als auch mit der Bindehaut in Kontakt kommen. Die Centers for Disease Control and Prevention betrachten beide als semikritische Instrumente, die gereinigt und anschliessend einer hochwirksamen Desinfektion unterzogen werden müssen. Die Autoren fragen sich, wie Patienten im klinischen Umfeld vor einer Infektion mit diesen Krankheiten geschützt werden können. Ist es notwendig, Einweg-Tonometerspitzen und Gonioskopielinsen anstelle von wiederverwendbaren Materialien zu verwenden? Oder kann eine ausreichende Desinfektion dieser Instrumente Kosten und Kunststoffabfälle reduzieren?

Derzeit schreiben das US-Veteranenministerium und viele Krankenhäuser im Namen der Patientensicherheit und der Vermeidung von Krankheitsübertragungen die Verwendung von Einweg-Tonometerspitzen und Wegwerf-Linsen vor. Diese Anweisungen werden trotz klarer Richtlinien der American Academy of Ophthalmology, der Centers for Disease Control and Prevention und der Tonometerhersteller erlassen, die besagen, dass 5000 ppm Natriumhypochlorit ausreichen, um wiederverwendbare Tonometerspitzen zu desinfizieren und die meisten gängigen Infektionskrankheiten zu eliminieren. Eine 5000 ppm-Lösung kann mit jeder beliebigen Konzentration von Natriumhypochlorit, einschliesslich Haushaltsbleiche, und Wasser im Verhältnis 1:10 hergestellt werden. Online-Rechner können bei der Berechnung je nach vorliegender Natriumhypochloritkonzentration behilflich sein. Die Tonometerspitze wird abgewischt, maximal fünf Minuten in die Lösung getaucht, mit Leitungswasser abgespült und an der Luft getrocknet. Diese Richtlinien basieren auf einer umfangreichen Literaturrecherche zur Übertragung von Infektionskrankheiten durch Tonometerprismen. Eine Leitlinie der Joint Commission aus dem Jahr 2019 stimmt ebenfalls mit diesen Empfehlungen überein (in diesem Dokument wurden Tonometer jedoch als Materialien bezeichnet, die mit einer Schleimhaut in Kontakt kommen, was bei der Hornhaut nicht der Fall ist). Obwohl Einweg-Tonometrieprismen ein sehr geringes oder gar kein Infektionsrisiko zu bergen scheinen, ergab eine Studie inter­essanterweise, dass fast die Hälfte der befragten Anwender zugab, die Prismenoberfläche beim Einrichten des Tonometers mit den Händen berührt zu haben. Dementsprechend wurden auf 12 von 25 untersuchten Einweg-Tonometrieprismen Staphylococcus aureus oder Staphylococcus epidermidis kultiviert, was darauf hindeutet, dass die einmalige Verwendung nicht immer eine Eliminierung der Infektionsübertragung bedeutet. Für die Desinfektion wiederverwendbarer Gonioskopieprismen in der Praxis gelten firmenspezifische Richtlinien. Im Allgemeinen werden diese Artikel jedoch aus Kunststoff oder Glas mit mehrschichtigen Beschichtungen hergestellt, die mit mehreren Desinfektionsmethoden kompatibel sind. Die gesamte Linse kann mit einem milden Reinigungsmittel gereinigt, abgespült, getrocknet, in 1:10 verdünntes Natriumhypochlorit getaucht, abgespült und erneut getrocknet werden.

An den Tonometerspitzen kann Verschleiss auftreten. Insbesondere mikroskopisch kleine Risse an den Tonometerspitzen können Epithelzellen einklemmen, vor allem bei Traumata oder schwieriger Applanation. Daher sollten Tonometerspitzen nach jeder Reinigung mikroskopisch untersucht und alle zwei Jahre ausgetauscht werden. Auch hier gibt es keine spezifischen Richtlinien für Gonioprismen, aber eine mikroskopische Untersuchung nach der Reinigung und ein Austausch bei sichtbarem Verschleiss sind angezeigt.

Bemerkenswerterweise sind keine Fälle von Creutzfeldt-Jakob-Krankheit-Übertragung durch Tonometrie oder Gonioskopie bekannt. Angesichts des Krankheitsverlaufs sind diese Erkrankungen jedoch sehr besorgniserregend, da die Erreger bekanntermassen schwer zu eliminieren sind. Sie sind resistent gegen die Dekontamination mit medizinischen Reinigungsmitteln und können Bestrahlung und Autoklavierung bei hohen Temperaturen überstehen. Im Jahr 1999 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation Richtlinien, nach denen Tränen und andere Körperflüssigkeiten keine Prionen übertragen. Obwohl das Auge als „hochinfektiöses“ Gewebe gilt, trifft dies nicht auf Tränen zu, und es konnte keine Infektiosität in der Tränenflüssigkeit nachgewiesen werden. Studien an der Goldmann Einweg-Applanationsspitze zeigen, dass keine der derzeit angewandten Desinfektionsmethoden in der Lage ist, Epithelzellreste vollständig zu entfernen; allerdings reduziert die manuelle Reinigung und Desinfektion mit Natriumhypochlorit (im Gegensatz zum einfachen Trocknen oder Abwischen) die Zellzahl am stärksten, wobei unklar ist, wie sich dies auf eine wiederverwendbare Tonometerspitze übertragen lässt. Ausserdem ist unklar, ob Epithelzellreste mit Resten von Prionproteinen korrelieren. Wichtig ist, dass bei Patienten mit varianter oder sporadischer CJK kein Prionprotein in der Hornhaut oder im vorderen Augenabschnitt (einschliesslich Linse, Iris und Kammerwasser) mittels Immunoblotting nachgewiesen werden konnte. Das Dokument der Weltgesundheitsorganisation spricht von einer „extrem seltenen“ Übertragung von Prionen durch chirurgische Eingriffe und von einer „hypothetischen“ Übertragung auf anderem Wege. Die Centers for Disease Control and Prevention und die American Academy of Ophthalmology empfehlen, dass Ärzte bei Verdacht auf eine aktive Prioneninfektion Einweg-Applanationsspitzen verwenden sollten, was ihnen nach Ansicht der Autoren auch freistehen, aber aufgrund der verfügbaren Evidenz nicht vorgeschrieben werden sollte.

Derzeitige Erkenntnisse und Leitlinien zeigen, dass wiederverwendbare Tonometerspitzen und Gonioskopielinsen für die Verwendung in der Patientenpraxis sicher sind, wenn sie ordnungsgemäss gereinigt und desinfiziert werden. Eine Umfrage unter Augenärzten im Jahr 2020 ergab, dass die meisten (> 80%) die Tonometerspitzen sofort reinigen; die Einhaltung der empfohlenen Desinfektion mit Natriumhypochlorit ist jedoch wesentlich geringer (≤ 10%), wobei die Mehrheit zur Desinfektion Tücher mit 70% Isopropylalkohol verwendet. Es ist klar, dass die empfohlenen Desinfektionspraktiken befolgt werden sollten, wenn es eine entsprechende Richtlinie gibt. Anweisungen zur Verwendung von Einwegversionen dieser Artikel zur Reduzierung von Infektionen sind nicht evidenzbasiert und tragen nur zu den enormen ökologisch und wirtschaftlich relevanten Abfällen bei, die jedes Jahr produziert werden. Die Autoren plädieren dafür, dass sich das Gesundheitssystem auf die Reinigung, Desinfektion und Sterilisation von wiederverwendbaren Instrumenten als Methode der Infektionsprävention konzentrieren sollte, wenn dies möglich und sicher ist, anstatt sich auf die Verwendung von Einwegprodukten zu verlassen. (bs)

Autoren: Schehlein EM, Robin AL. Korrespondenz: Emily M. Schehlein, MD, Brighton Vision Center, Brighton, Suite 250, 2305 Genoa Business Park Drive, Brighton, MI 48114, USA. E-Mail: emschehlein@gmail.com Editorial: Should We Use Disposable Tonometers and Gonioprisms in the Office? Quelle: Ophthalmology Glaucoma, 2024, ISSN 2589-4196, doi.org/10.1016/j.ogla.2024.09.004 Epub ahead of print. Web: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2589419624001765