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Fachverlag und Nachrichtenagentur

SPECIAL Prostatakarzinom-Screening

Kapitel 1: Problemfall Prostatakarzinom in der Schweiz

Das Prostatakarzinom (PCa) ist das häufigste Karzinom des Mannes (1). Jährlich erkranken in der Schweiz etwa 6.600 Männer und unter allen Karzinomen nimmt das Prostatakarzinom einen Anteil von etwa 28% ein. Darüber hinaus ist das Prostatakarzinom für 15% aller karzinom-bezogenen Todesfälle bei Männern in der Schweiz verantwortlich, mit 1.400 Todesfällen pro Jahr, mit steigender Tendenz. Das Prostatakarzinom liegt bei Männern in der Todesursachenstatistik noch vor dem Dickdarmkarzinom (2).

Durch die Entdeckung des Prostata-Spezifischen-Antigens (PSA), einem Blutserum-Marker, wurde die Qualität der Prostatakarzinom-Diagnostik gesteigert (3). Die PSA-Bestimmung erlaubt im Idealfall eine Diagnose im Frühstadium. Hier kann eine kurative Therapie angeboten werden, mit dem Ziel, fortgeschrittene oder gar metastasierte Verläufe mit entsprechend komplexen, nebenwirkungsträchtigen und kostenintensiven Therapien zu vermeiden (4). Die Therapie im lokalisierten Stadium beinhaltet als Goldstandards die radikale Prostatektomie oder die Strahlentherapie der Prostata (5).

Bereits zuvor zeigten wir, dass im Vergleich zur «Normalbevölkerung» signifikante Unterschiede in den Überlebensraten sichtbar sind, abhängig vom Tumorstadium. Konkret wich die Lebenserwartung bei Patienten, die im Frühstadium diagnostiziert und therapiert wurden, nicht von der Lebenserwartung der «Normalbevölkerung» ab (6, 7). Zu spät diagnostizierte Prostatakarzinom-Patienten hingegen sind einem viel höheren Risiko eines Krankheitsprogresses und einem früheren Versterben ausgesetzt. Letztere benötigen zunächst, wie in unseren Vorarbeiten beschrieben, meist eine technisch aufwändige und kostenintensive Bildgebung zur Lokalisation der Metastasen (8, 9), gegebenenfalls eine erweiterte Nachbestrahlung mit zusätzlichem Einbezug von Metastasenherden (10), sowie eine medikamentöse Hormonentzugstherapie oder Chemotherapie (11). Darüber hinaus ist ein fortgeschrittenes und metastasiertes Prostatakarzinom häufig mit Tumorschmerzen verbunden, die einen verfrühten Ausfall aus dem Berufsleben bedingen können (12, 13).

Bei dem angenommenen Idealfall eines früh diagnostizierten und kurativ behandelten Patienten, der statistisch gesehen weniger wahrscheinlich eine Metastasierung oder einen Krankheitsprogress erleiden wird, werden die Kosten hingegen überschaubar bleiben. Exemplarisch schlagen hier lediglich die Kosten der regelmässigen PSA-Tests zu buche, die zwischen 20 und 30 CHF liegen. Im Falle eines fortgeschrittenen, und metastasierten Prostatakarzinoms ist keine kurative Therapie möglich und die Behandlungskosten liegen in jeglicher Hinsicht wesentlich höher. Exemplarisch ist in der Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms mit Kosten für Monatsdosen zwischen 4.011 CHF bis 4.305 CHF (Hormonentzugstherapie der «neuen Generation»), sowie von 818 bis 5.540 CHF für eine 3-Wochen Dosis Chemotherapie zu rechnen (14). Hier sind jedoch weitere kostenintensive bildgebende Untersuchungen, Nachbestrahlungen, knochenstabilisierende Therapien und Schmerztherapien noch nicht miteinberechnet.

Kapitel 2: Die Entwicklung des Prostatakarzinom-Screenings im Laufe der Jahre

Die «European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC)»-Studie konnte aufzeigen, dass das populationsbasierte PSA-Screening bei 182.160 Männern über einen Zeitraum von 16 Jahren Nachbeobachtung zu einer um 20% signifikant reduzierten (prostata-)krebsspezifischen Mortalität (CSM) führte (15). Spezifische Subgruppenanalysen einzelner Länder der randomisierten ERSPC-Studie zeigten mitunter sogar eine Reduktion der CSM zwischen 35% (Schweden) (16) und 52% (Rotterdam Pilot 1 Studienkohorte) (17). Eine ähnliche randomisierte Studie (Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening, PLCO), die 2012 veröffentlicht wurde, konnte den Effekt des PSA-Screenings auf die CSM, im Gegensatz zur ERSPC Studie, nicht darlegen (18), was zunächst dazu führte, dass das generelle PSA-Screening historisch gesehen zunächst nicht empfohlen wurde, um eine Überdiagnostik und Übertherapie von klinisch nicht signifikanten Niedrig-Risiko Prostatakarzinomen zu vermeiden (19).

In diesem Zusammenhang hat sich in den letzten zehn Jahren jedoch eine wesentliche Entwicklung hinsichtlich besserer Patientenaufklärung, Beratung und auch Diagnostik gezeigt, welche die ursprünglichen Bedenken der Überdiagnostik und Übertherapie obsolet machen. Zur Veranschaulichung: Während historisch gesehen der starre Diagnosealgorithmus darin bestand, jedem Mann mit einem erhöhten PSA-Wert eine meist ultraschall-gesteuerte Prostatabiopsie zur Diagnosesicherung zu empfehlen (20), steht zwischenzeitlich ein individueller Diagnosealgorithmus zur Verfügung, der zum Ziel hat, die Gefahr der Überdiagnostik zu verringern (21). Einige Aspekte dieses individuellen Algorithmus sehen vor, zunächst eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata vorzunehmen, um bildmorphologische Hinweise für das Vorliegen eines relevanten PCa zu erhalten und idealerweise, sofern sich auffällige Areale zeigen, mittels MRT-Ultraschall Fusionstechnologie, diese Areale gezielt zu biopsieren («PSA+MRI-pathway») (22). Neue, vielversprechende Screeningansätze zielen mittlerweile darauf ab, bei Patienten trotz erhöhtem PSA-Wert, aber unauffälligem MRT, zunächst gar keine Biopsie durchzuführen, um das Risiko einer Überdiagnostik noch weiter zu verringern, ohne aber dabei signifikante Karzinome zu übersehen (23, 24, 25). Darüber hinaus stehen Risikokalkulatoren zur Verfügung, um die Entscheidung für eine Prostatabiopsie anhand diverser Risikofaktoren mit dem Patienten gemeinsam zu evaluieren (26). Zusätzlich hat sich die Therapieform der «Aktiven Überwachung» von Niedrig-Risiko Prostatakarzinomen durchgesetzt (21), was weiter dazu beiträgt, das Risiko der Übertherapie mittels radikaler Prostatektomie oder Strahlentherapie zu reduzieren (27, 28). Langzeitstudien konnten demonstrieren, dass die aktive Überwachung eine sichere Methode für Niedrig-Risiko-Prostatakarzinome darstellt (29). Eine definitive Therapie wird bei diesen Patienten nur im Falle einer Tumorprogression eingeleitet. Basierend auf den oben genannten Entwicklungen und neu vorliegenden Nachbeobachtungsdaten (30) wurde die historische Empfehlung gegen das PSA-Screening nun vollständig widerrufen (31). Dass die Empfehlung gegen das PSA-Screening sogar schädlich war, zeigt sich nun in neueren Studienergebnissen aus den USA. Nachfolgend auf die Empfehlung zeigte sich eine signifikante Verringerung der Detektionsrate von lokalisierten, behandelbaren Prostatakarzinomen und dafür eine Erhöhung der Detektionsrate von fortgeschrittenen oder sogar metastasierten Prostatakarzinomen mit entsprechender negativer Auswirkung auf die CSM (32, 33).

Erfreulicherweise unterstützt die Literaturlage den Vorteil eines PSA-Screenings nun definitiv: Jüngste Studienergebnisse einer randomisierten, schwedischen Screeningstudie («Göteborg-1») zeigen, dass ein systematisches, frühes PSA-Screening einen signifikanten Überlebensvorteil bietet. Wurde das erste PSA-Screening mit 55 Jahren durchgeführt, halbierte sich das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu versterben, im Vergleich zu Männern, die erst mit 60 Jahren ihren ersten PSA-Test erhielten (34). Zusammen mit den Erkenntnissen aus einer weiteren Screeningkohorte («Göteborg-2»), die darlegen konnte, dass das Fundament der Prostatakarzinom-Vorsorge einerseits das PSA-Screening beinhalten sollte, und andererseits, zur Prävention einer Überdiagnostik, eine Biopsie nur im Falle eines auffälligen Prostata-MRT durchgeführt werden kann, liegt aus unserer Sicht nun ein evidenzbasierter Fahrplan für die schweizerische Prostatakarzinom-Vorsorge vor (25).

Kapitel 3: Aktionsplan populationsbasiertes «Prostatakarzinom-Screening» in der Schweiz

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2022 eine aktualisierte Empfehlung zur Krebsfrüherkennung verschiedenster Tumore veröffentlicht. In dieser Version ist nun neben den etablierten Screeningprogrammen zu Dickdarm und Brustkrebs auch der eindeutige Appell enthalten, das Thema des Prostatakarzinom-Screenings länderübergreifend auf die Agenda zu stellen (35, 36). Explizit beschreibt der dazugehörige Passus (36):

«Prostate cancer:
Considering the evidence and the significant amount of ongoing opportunistic screening, countries should take a stepwise approach, including piloting and further research to evaluate the feasibility of implementation of organised programmes aimed at assuring appropriate management and quality on the basis of prostate-specific antigen (PSA) testing for men up to 70, in combination with additional magnetic resonance imaging (MRI) scanning as a follow-up test»

Wie weiter oben beschrieben, liegt der moderne Algorithmus für das Prostatakarzinom-Screening mittlerweile in einer Kombination aus PSA und MRT («PSA+MRI-pathway»). Zu diesem kombinierten Vorgehen liegt eine Level 1 Evidenz vor, welche aufzeigt dass die Biopsierate gesenkt werden kann und schliesslich der Fokus auf signifikante Tumore gelenkt wird (37). Die oben genannte Botschaft der Europäischen Kommission wird weiter explizit gestärkt durch Appelle und Stellungnahmen der Europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) sowie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) und dem deutschen Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), was die Wichtigkeit dieses Vorhabens auch für die Schweiz unterstreicht (38, 39, 40).

Somit möchten wir an die Politik appellieren, auch in der Schweiz ein Prostatakarzinom-Screening zu etablieren, welches allen einschlussfähigen Männern kantonsweit die Möglichkeit einer modernen Vorsorge ermöglichen soll. In den nachfolgenden Artikeln gehen wir im Speziellen auf das Thema «Ideales Startalter» des Prostatakarzinom-Screenings ein (im Rahmen des Göteborg-1-Trials), dem verbundenen Kostenaspekt (Getaneh et al.), sowie auf Optimierungen des Diagnosealgorithmus, die durch den PSA-MRT-Pathway vorangetrieben werden (Göteborg-2). Einen anderen Ansatz zum Screening, nämlich als alternativen Marker den Stockholm-3 Test zu verwenden, wird ebenfalls diskutiert (STHLM3-MRI, Nordström et al.) Zum Abschluss holen wir noch einmal die Ergebnisse der Langzeitbeobachtung des Göteborg-1-Arms des ERSCP-Trials (22 Jahre) hervor, die das Prostatakarzinom-Screening weiter unterstützt (Franlund et al.) (CW)

Referenzen
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Autor: Dr. med. Christoph Würnschimmel, Oberarzt Luzerner Kantonsspital